SOS – Der Chef schreit!

Der Chef tobt vor Wut. Die Schreie sind – auch bei geschlossener Tür – über den Flur zu hören. Diese Situation ist leider auch in der heutigen Geschäftswelt häufiger anzutreffen als einem lieb ist. In der Organisation wird hinter vorgehaltener Hand darüber geredet, viele wissen von „diesem Verhalten“, doch vielfach wird von aussen nichts dagegen unternommen. Der betroffene Mitarbeiter oder das ganze Team sind sich selbst überlassen. Doch wie reagiert man in einer solchen Situation am besten? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, sollte man zunächst verstehen, warum Menschen wütend werden. 

Was ist Wut und warum wird jemand wütend?

Normalerweise muss einiges zusammenkommen bis jemand die Beherrschung verliert. Meistens beginnt es mit Stress. Dann kommt Ärger hinzu – etwas gelingt nicht so wie gewünscht oder geplant, jemand macht uns einen „Strich durch die Rechnung“ usw. Wenn zum Ärger noch das Gefühl von Hilflosigkeit hinzukommt, wird daraus Wut.

Diese Wut richtet die betroffene Person in den seltensten Fällen auf sich selber. Vielfach staut sich diese Wut auf, bis es nur einen kleinen Tropfen braucht, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dies kann irgendein Fehler, eine Nachlässigkeit, eine Aussage oder ein Verhalten sein, das nicht passt und die angestaute Wut bricht aus.

Dabei ist Wut ein Anzeichen von Macht und Ohnmacht. Der Wütende ergreift die Macht und das Opfer ist ihm oder ihrausgeliefert,

Wie wir instinktiv reagieren 

Die meisten Menschen reagieren in dieser Situation instinktiv mit drei Verhaltensmustern:

1) „Kämpfen“, d.h. sie werden ebenfalls wütend und schreien zurück. Mit der Folge, dass der Streit eskaliert. Später kostet es viel Zeit und guten Willen von beiden Seiten, um zu einem normalen Verhältnis zurückzukehren.

2) „Tot stellen“, d.h. sie ziehen sich in sich zurück, erdulden die Wut, lassen sich als Opfer missbrauchen und fühlen sich gedemütigt.

3) „Flüchten“, d.h. sie verlassen den Ort des Geschehens mehr oder weniger laut. Es gibt keine Bereinigung des Themas.

Keines dieser Verhaltensmuster wird Ihnen weiterhelfen. Sie bewahren Souveränität und kommen einer annehmbaren Lösung näher, wenn Sie stattdessen die folgenden acht goldenen Regeln zur Wutbewältigung beherzigen:

(1) Aktivieren Sie Ihr inneres Schutzschild

Stellen Sie sich vor, dass Sie durch eine „Glocke aus Panzerglas“ geschützt werden. Sie sehen und hören alles, was um sie herum vorgeht, jedoch kann Ihnen unter Ihrem Schutzschild nichts passieren. Versuchen Sie gleichzeitig Ihre Mimik so zu steuern, dass Sie Ihrem schreienden Gegenüber nicht Ihr „Angstgesicht“ zeigen. Sitzen Sie nicht eingeschüchtert und zusammengesunken in Ihrem Stuhl und schauen auf den Boden. Eine dominante oder relaxte Haltung ist ebenfalls fehl am Platz. Gut wäre, wenn es Ihnen gelingt, sich so hinzusetzen, als würden Sie darauf warten, gleich in eine interessante Diskussion einzusteigen.

(2) Fangen Sie nicht an sich zu rechtfertigen 

Ausflüchte und Rechtfertigungen wie z.B.: „Das sehen Sie ganz falsch.“, „Das kann gar nicht sein.“ oder "Wie kommen Sie denn darauf?“ sind hier nicht angebracht. Wenn Ihnen Ihr Vorgesetzter die ganze Sachlage erst „aus der Nase ziehen muss“, wird dies nur seine Wut weiter anfachen. Hierzu gehört auch der nächste Punkt.

(3) Räumen Sie Ihren Fehler sofort ein

Falls Sie einen Fehler gemacht haben, geben Sie diesen direkt zu. Das wirkt entwaffnend. Wenn Sie dann noch glaubhaft machen können, dass sich die Situation nicht wiederholt, gibt es nichts mehr zu klären. Der Wut wurde die Grundlage entzogen, jetzt muss sie nur noch „verfliegen“.

Beispiel

Chef: „Sie liefern mir die Berichte ständig zu spät ab. Können Sie nicht vernünftig vorausplanen? Das sollte doch irgendwie möglich sein!“

Mitarbeiter: „Ja, ich weiss, die letzten zwei Mal habe ich die Berichte zu spät eingereicht. Es tut mir leid! Ich schlage vor, dass wir die Abgabetermine und die Prioritäten gemeinsam neu festlegen. Wann haben Sie Zeit für ein Gespräch?"

(4) Geben Sie Ihrem Gegenüber Gelegenheit „Dampf abzulassen“

Ein Wutausbruch ist immer ein emotionaler Ausnahmezustand. Hilfreich ist hier das Bild eines „Wutkellers“. Stellen Sie sich vor, Ihre Diskussion findet auf zwei Ebenen statt. Im Wohnzimmer sitzen Sie und Ihr Chef und besprechen sachlich das entsprechende Thema. Unten im Wutkeller lässt er oder sie unterdessen seinen/ihren Frust raus. Lassen Sie ihm oder ihr Zeit Dampf abzulassen, auch wenn es unangenehm ist. Steigen Sie auf keinen Fall mit in den Keller. Lassen Sie Ihren Chef reden und unterbrechen Sie ihn nicht. Wütend zu sein ist sehr anstrengend, deshalb flaut der Zorn nach einer gewissen Zeit häufig von selber ab. Dann lässt es sich wieder sachlich diskutieren. Auch ihre Argumente finden wieder Gehör.

(5) Diskutieren Sie nicht über Beleidigungen

Wenn eine Person wütend ist, hat sie sich selber nicht mehr im Griff. Es fallen böse und beleidigende Worte, die diese Person, wenn sie ganz bei sich wäre, nicht sagen würde. Daher sollten Sie das Geschimpfe und die Worte, die dabei fallen, erst einmal überhören. Hinzukommt, dass Sie – würden Sie auf die Beleidigungen eingehen – sich in eine erregte Diskussion verstricken, die zu nichts führt. Sie sitzen mit im Wutkeller. Ich meine hiermit nicht, dass Sie sich automatisch alles gefallen lassen müssen. Sie wissen vielmehr, wie man mit einem wütenden Menschen am besten umgeht.

(6) Spiegeln Sie dem anderen was gerade passiert

Ihrem schreienden Gegenüber ist in seiner Rage die Aussenperspektive verloren gegangen, mit der das eigene Verhalten sozialverträglich gesteuert wird. Die Anwendung der Spiegeltechnik stellt daher ein wirksames dar, d.h. Sie lassen ihn mittels Spiegel einen Blick auf sich selber werfen. Hierbei spiegeln Sie nur das, was Sie sehen und hören. Anstatt über die Vorwürfe irgendwelche Worte zu verlieren, können Sie beispielsweise mit grösstmöglicher Sachlichkeit feststellen: „Sie sind sehr laut.“ oder „Sie sind sehr wütend.“ Werten Sie nicht, stellen Sie keine Fragen: „Wieso sind Sie so wütend?“ und sparen Sie sich auch belehrende Aussagen wie beispielsweise "Sie wissen ja nicht, was Sie da reden!“. Das würde nur Öl ins Feuer giessen.

(7) Signalisieren Sie Verständnis 

Versuchen Sie Ihr Gegenüber zu verstehen und fragen Sie sich: Was hat er oder sie? Warum regt er oder sie sich so auf? Was ist passiert, dass es zu einem solchen Wutausbruch kommt? Machen Sie Ihr Verständnis deutlich, indem Sie in sachlichen Worten wiedergeben, was Ihnen an den Kopf geworfen wird. Wenn es für Sie stimmig ist, drücken Sie Ihr Bedauern oder Ihr Mitgefühl für die Situation aus. Das kühlt die Situation weiter ab.

Beispiel 1

Chef: „Sie haben in der Präsentation schon wieder die Quartalszahlen verwechselt! Sie sind eine absolute Null! 

Mitarbeiter: „Sie meinen, in der Präsentation sind Zahlen vertauscht worden.“

Beispiel 2:

Chef: Wofür bezahle ich Sie eigentlich! Ich hatte schon wieder eine telefonische Reklamation des Key-Kunden, dass die Bestellung zu spät eingetroffen ist.

Mitarbeiter: Ich verstehe Ihren Ärger und mir ist die Situation auch äusserst unangenehm. Die Sachlage ist folgende...

(8) Bauen Sie Brücken mit Ich-Aussagen

Ich-Aussagen sind sozusagen die Leiter, die es Ihrem Chef ermöglicht, wieder aus dem Wutkeller herauszuklettern. Sie sind frei von Aggression. Sie bauen mit dieser Aussage Ihrem Chef eine Brücke und signalisieren Ihre Bereitschaft, die Beziehung wieder in Balance zu bringen.

Beispiel 1:

Chef: „Die Präsentation ist wieder eine völlige Katastrophe. Sie kommen nicht auf den Punkt!“

Mitarbeiter: „Ich bin unglücklich, dass Sie das so sehen. Ich möchte gerne mit Ihnen darüber reden, was zu verbessern ist.“

Beispiel 2

Chef: „Ihnen muss ich immer alles mehrfach erklären. Hören Sie mir eigentlich nie richtig zu?“

Mitarbeiter: „Mir ist es selbst unangenehm, dass ich nochmals nachfragen muss. Ich will sicher sein, dass ich Sie in diesem Punkt richtig verstanden habe, damit wir hinterher Zeit sparen.“

Ähnliche Sätze könnten sein:

  • Ich sehe ein, dass... und ich werde...
  • Ich bin traurig, dass Sie das so sehen.
  • Was muss ich tun, damit...
  • Ich kläre die Situation mit...
  • Ich erstelle eine neue Präsentation und Sie erhalten diese rechtzeitig...
  • Es tut mir leid, wenn ich mich unklar ausgedrückt habe. Geben Sie mir einen Augenblick Zeit...

Ist ein konstruktives Gespräch trotz der von Ihnen signalisierten Kooperationsbereitschaft nicht möglich, ist es sinnvoller – nach einer Vorwarnung – das Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt fortzuführen. So schützen Sie Ihre Würde und verschaffen sich Respekt. Hier ist es wichtig, dass Sie signalisieren, unter welchen Bedingungen Sie gesprächsbereit sind und wo Ihre Grenzen liegen. Dann gehen Sie ohne zu zögern. Ignorieren Sie, wenn Ihnen noch etwas hinterhergerufen wird. 

Beispiel

Mitarbeiter: Herr X/Frau Y, ich sehe im Augenblick nicht, dass wir mit der Sache weiterkommen. Ich möchte das Gespräch hier abbrechen und vorschlagen, einen neuen Termin zu machen. Gerne möchte ich mit Ihnen konstruktiv nach einer Lösung suchen. Aber im Augenblick sehe ich keinen Sinn darin, weiter zu diskutieren. 

Abschliessend bleibt mir nur, Ihnen viel Kraft und gute Nerven zu wünschen, sich auf Ihre Mitmenschen einzulassen und mit dem entsprechenden Fingerspitzengefühl und Know-how tragfähige Lösungen zu finden. Wie immer bin ich gerne als Sparringspartner für Sie da. Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie Ihre Situation besprechen möchten.